Text&Interview: Rokko
Fotos: Discorporate / Marbach
Discorporate Records vs Marbach Recordz
Im Osten Deutschlands tut sich was: Die beiden Labels Discorporate (Dresden) und Marbach (Erfurt) lassen die Bomben nacheinander hochgehen, organisieren Festivals wie Teenitus (mit Qui, Ovo, Arabrot uvm.) und veröffentlichen Platten von u. a. DŸSE und Capillary Action. Wir wollten den ultimativen Battle austragen und ließen die jungen Ferkel von Marbach auf die etwas älteren Schweine von Discorporate krachen. Das Tonband lief mit und hat überlebt! Folgende Abkürzungen wurden im Ring beibehalten:
Kampfeinheit Marbach:
MD: Daniel „Jahmaik“ Fromm; Beagl Vieh, Mukra
MK:
Christian „Kirmes“ Kühr; Cotton Ponies, Mukra,
Zentralheizung of Death (des Todes)
Kampfeinheit Discorporate:
DJ: Johannes Zink; Chef der Firma
DC: Christian Döpping; Tarentatec
DH: Patrick „Hedwig“ Köhler; Osis Krull
Marbach an Discorporate
MD: Erstmal würde ich gerne zum Einstieg eine Blitzantwortrunde machen. Den ersten Gedanken bitte. Wie steht ihr zu...ADOLF HITLER?
DJ: Völlig unterschätzt.
DC: Keine Ahnung.
DH: Da geht der Daumen nach oben.
MD: CHARLES MANSON?
DJ: Langweilig.
DC: Geile Mucke.
DJ: Stimmt!
DH: Medium akut.
MD: CHAOS?
DJ: (Stille)
DC: Darüber sollte man mal nachdenken
DH: Ständig vorherrschend.
MD: ZAPPA?
DJ: Zappa ist der Papa. Halt’s Maul.
DC: Zappa ist geil, Mann. Halt’s Maul.
DH: Großartig. Halt’s Maul.
MD: COCA COLA?
DJ: Ich bin runter vom dem Scheiß. Ich bin der Bio-Zinker neuerdings.
DC: Lars Mäurer (Tastenmann von Tarentatec und Osis Krull – 3 Liter pro Tag)
DH: Ich sag VITA COLA.
MD: EI MIT SENFSOßE?
DJ: Mein mindestens 6.-Lieblingsgericht.
DC: Find ich geil. Gulasch mit Klößen ist besser.
DH: Wenn meine Oma’s macht – sehr gut. Wenn ich’s mache – naja.
MD: VORMITTAGS BIER?
DJ: Macht mir Angst.
DC: Wenn man abends Bier trinkt und nicht merkt, dass es schon wieder vormittags ist, dann gerne.
DH: Ich stehe meistens erst nachmittags auf. Ansonsten: Ja!
MD: MAINSTREAM?
DJ: Gibt’s nicht.
DC: Was soll ich dazu denn sagen?
DH: Popmusik.
MD: NEVERMIND?
DJ: Völlig überschätztes, schlecht produziertes Album.
DC: Ey, ich hab das übelst oft gehört, Mann..
DH: Ich bin damit groß geworden.
MD: ZERSTÖRUNG?
DJ: Kann man mal machen. Man sollte aber wieder zusammensetzen irgendwie.
DC: Es ist trotzdem übelst geil in einem alten Haus Scheiben einzuschlagen.
DH: Zerstörung fetzt. Der Sound ist geil.
MD: DAYDREAM NATION?
DJ: Hat mich nie gekickt... finde die Experimental Jet Set dringender. (leichte Anzeichen von Wut bei Daniel) – Aber macht euer Ding, ich hör‘ stattdessen Meshuggah.
DC: Von wem ist denn das überhaupt? (alles schreit: Sonic Youth!) Echt, ich kenn nur die Experimental Jet Set... und die ist die geilste. (ersticktes Lachen)
DH: Beste Autofahrmusik.
MD: HARZE?
DJ: Ein Heiligtum des Marbach-Klans. Bitte bewusst genießen.
DC: Ich kiff immer nur, weil alle anderen kiffen.
DH: Wer kifft, kifft. Wer nicht kifft, kifft nicht.
MD: Okay, jetzt habt ihr ein bisschen mehr Zeit, euch zu erklären. Was ist eine No-Go-Area für Discorporate? Also, Dinge oder Geschehnisse, musikalisch oder menschlich, bei denen ihr darüber nachdenken würdet, nicht mehr weiterzumachen.
DJ: Natürlich, wenn sich einmal wirtschaftliche Interessen vor die Belange von Freundschaft, Kreativität und Eigenartigkeit schieben. Wenn man sich über 50% der Zeit mit Finanzen, Marketing oder Promotion beschäftigt. Wenn wir irgendwann damit anfangen, irgendetwas sein zu wollen - sei es bloß ein romantisch-stolzes Bild von uns selbst zu reproduzieren, also Eitelkeit und damit verbundene Stagnation zuzulassen, dann ist Schicht im Schacht. Fakt
ist nun mal, wir und ihr sind musikalisch sehr speziell sozialisiert und wir kennen eine Menge Künstler, Bands und Labels, die wir cool finden und deren Ästhetik und Selbstverständnis wir lieben. Wenn wir uns aber irgendwann danach ausrichten, was von unseren Einflüssen und Vorbildern diktiert wird, wird’s kacke. Ich rede hier nicht von Rebellion oder Autarkie, aber wir rücken uns schon jetzt viel zu sehr in Kontext zu unseren Idealen. Discorporate ist quasi schon mit einem Fuß in der No-Go-Area. Dazu noch MySpace, Agenturen, eigene Bandbios in der dritten Person, all das. Diese Promotion-Szene-Mode-Sackgasse plagt mich manchmal. Ich habe da ein romantisches Bild einer familiären unikalen Bewegung, die ohne Manipulation oder Promotion-Tricks einige Hebel umlegt.
MD: Was macht dich so sicher, dass dieser Gedanke nicht nur vom Kiffen kommt?
DJ: Ey, ich bin seit einer Fasten-Woche der Bio-Öko-Zinker. Verarsch mich nicht. Ernsthaft, auch Ikonen von uns wie die Melvins oder Zappa haben irgendwann mal Schwänze gelutscht. Ich hoffe, wir können das vermeiden. Ich will keine Debatte anstoßen, ob es politisch korrekt ist Promotion, zu machen oder einen MySpace-Account zu haben, aber ich sehne mich nach einer Alternative. Wie seht ihr das?
DC: Keine Ahnung, hab gerade nicht zugehört. Ich hab über pure Fleischdöner nachgedacht und wie man das in Zusammenhang mit Musik stellen kann.
DH: Mir bleibt nur zu sagen, unsere Generation masturbiert zu viel. Das hat’s früher nicht gegeben. (frohes Gelächter)
MD: Auf eurer MySpace-Seite (Gelächter) hab ich ein Bild gefunden, auf dem der Zinker auf einem Chefsessel vor einem Rechner sitzt und im Hintergrund sind diverse Ordner zu sehen. Wir haben uns gefragt: Ist das alter Schul-Scheiß von dir?
DJ: Lustige Frage. Ich hatte, als ich das Bild hochgeladen habe, das extra in einer niedrigen Auflösung getan, damit nicht irgendein Arschloch das Bild runterlädt, ranzoomt und schaut, was da draufsteht. Wenn das einer machen würde, wäre es zu verpixelt. Aber de facto ist das wirklich alles 100% Business. Finanzamt, Steuern, Abrechnungen, Kassenbuch, Künstlerverträge, GEMA und Co. – ich möchte an dieser Stelle meinen Steuerberater Maik Winter grüßen. Und Meiner, Schule ist bei mir schon etwas her.
DC: Als hätte der Zinker in der Schule mitgeschrieben.
DJ: Und ja, ich geb’s zu. Ein Ordner davon trägt die Aufschrift „Arbeitsamt“, also der Finanzgeber von Discorporate.
MD: Ihr habt also auch euer Sponsoring im Griff?
DJ: Ja klar, Discorporate - Endorsed by Angela Merkel
MK: „Freedom to Chaos“ ist ja der Subtitel eures Labels. Aber auch viele andere Sprüche zieren eure Welt. Was steckt hinter „Leave the planet“?
DH: Eigentlich ist das nur ein Spruch. Vielleicht ist’s aber mittlerweile auch schon ein Psalm.
DC: Ich dachte immer, das hängt mit dem Helge-Film „Jazzclub“ zusammen, wo die einzige Möglichkeit, um coole Mucke zu machen, darin besteht, den Planeten Erde am Ende zu verlassen und auf einem anderen Planeten rumzujammen, wo es die Leute kapieren.
DJ: Eine fantastische Utopie. Aber eigentlich ist das auch ein Zitat von Osis Krull, oder?
DH: (singt) Darling, I want you to leave the planet. Take my hand and be my Krullva (= weibliche Krullanerin) Der eigentliche Hintergrund aber: Mein größter Traum ist es Schiedsrichter im WM-Finale zu sein und irgendwann in der 80. Minute pfeif ich einfach so und geh zu irgendeinem, der mir nicht gefällt, und zeig ihm rot. „Red card, leave the planet!“
DC: Und das doch eigentlich nur, damit du danach ein Interview mit Günter Netzer machen kannst.
DH: Der Traum ist viel älter als Günter Netzer.
DJ: Auf unserem Klo in Dresden ist dieser Spruch auch ein Sticker auf der Klobrille als Abschiedsgruß für den vielen Kot, der aus den vielen Popos tagtäglich in den Äther gejagt wird... schön hingesetzt, nen Artikel von Rokko gelesen, dann ein letztes Winken und: Red Card, leave the planet.
MK: Dann wollte ich noch den Begriff „Polarkreis 18“ einwerfen.
DJ: Ey, das wollte ich euch auch fragen. Verdammt! (überlegt) Du meine Güte. Okay, wir können ja in diesem Fall mal unseren Zynismus wegpacken und unserem Auftrag gerecht werden. Es gibt ja viel, worüber ich lachen kann: Musikantenstadl, Big Brother und Dieter Bohlen... alles lustig und auch diese Jungs sind bestimmt nett und können nichts dafür, aber bei dieser Band denke ich ernsthaft über eine öffentliche Steinigung nach. Eine klassische
Hinrichtung. Wir müssen langsam ein Zeichen setzen. Die machen alles kaputt und benutzen unsere Sprache, unsere Sphäre, dafür. Eine Mischung aus Sigur Ros in schlecht und Joachim Witt. Ich habe mich selten so fremdgeschämt. Für Polarkreis 18, für Motor Music, für Dresden. Das passiert in unserer Nachbarschaft!
DH: Ich glaube, Osis Krull hat’s schon durchgezogen. Wir sind MySpace-Freunde. Die engagieren sich nämlich auch kulturell und die haben doch auch „internationales Format“. (macht ein Schweinegrunzen)
MD: Wie macht ihr das eigentlich mit den Auslandsgeschichten. Schnaak z.B. gehen ja jetzt auf US-Tour, The Season Standard werden dort von Ryko vertrieben, euer neuestes Signing ist Capillary Action aus New York und auch in Frankreich und Großbrittanien gibt es Vernetzungen. Wie ist das alles passiert?
DJ: Hmm, das ist alles mit uns passiert. Wir haben uns da jetzt nicht wirklich drum bemüht, aber so sollte es immer gehen: Schnaak gehen auf US-Tour, weil Paul Green (Gründer der berühmten „School Of Rock“) die beim Zappanale Festival gesehen hat, das total „awesome“ fande und nun eine Tour bucht. The Season Standard sind durch Produzent Markus Reuter und der Zusammenarbeit mit King Crimson optimal für den US-Markt... und Capillary Action sind sooo unfassbar überfliegergut, dass ich zum ersten Mal eine Band gefragt habe, ob die ins Discorporate-Kollektiv wollen. Die Kontakte ins europäische Ausland sind größtenteils das Resultat der Freundschaft mit dem Kanzler und Exile On Mainstream Records. Schnell haben wir uns mit all seinen Bands angefreundet – unsere Band Zarboth aus Paris ist ja auch ein Nebenprojekt von WeInsist! und Elena von End Of Level Boss macht jetzt auch Promotion für uns in UK. Eine Familie eben. Wir haben da viel Glück gehabt, auf solch ein Label zu stoßen mit unfassbar lieben Leuten und wahnsinnig guten Bands und dem besten Labelchef der Welt, unserem Paten – der Kanzler. Wir laufen jetzt auch über die gleichen Kanäle: Soulfood, Exile PR und Southern Records Germany. Und seit neuestem teilen wir
uns auch eine Band und zwar die sehr schlechten DYSE.
MD: Worin seht ihr die größten Defizite bei Discorporate?
DC: Das allergrößte Defizit ist auf jeden Fall, dass fast die gesamte Labelarbeit der Zinker macht. Ich meine, wir sind Musiker, aber wir sollten uns als Kollektiv verstehen und auch rausfinden, was wir für Aufgaben übernehmen können. Wir müssen viel mehr selber machen. Es kann nicht sein, dass Johannes das ganze Booking macht und auch die Homepages betreut.
DH: Und das in Deutschland...
DJ: Klar, Defizite gibt es einige. Man muss aber immer vorschieben, dass es uns seit 3 Jahren als Label gibt und dass viel sich wahnsinnig gut entwickelt hat. Was grenzwertig ist, und das kennt ihr sicherlich auch von euch, ist die interne Kommunikation, Absprachen und das Arbeits-Gleichgewicht innerhalb der Bands. Ihr kennt das ja, die allgemeine Peilerei und die Naivität. Das fängt bei den Proben an und hört beim Artwork für eine CD auf. Was ich da
schon für Therapiesitzungen einlegen musste. Meistens gibt es auch immer nur einen Typen pro Band, der das nichtmusikalische Arbeitspensum aller anderen übernimmt und da kriege ich die Wut. Glücklicherweise wird das aber von Tag zu Tag besser. Das ist kein menschliches Problem, sondern eine Sache der Erfahrung und der Sensibilität. Ich
bin zudem sehr harmoniesüchtig und wir haben uns ja auch nie 100% Professionalität auf die Fahnen geschrieben. Externe Defizite sind ganz klar Geldmangel und die nichtvorhandene Förderungsstruktur in Deutschland. Der Selbstausbeutungsfaktor bei Discorporate Records ist immens hoch. Wir haben alle kein Geld, aber was soll’s.
MK: An alle drei von euch, was war das schlimmste Erlebnis für euch bisher, was Band/Label betrifft?
DC: Ich kann jetzt kein Schlüsselerlebnis nennen, aber als ich das erste Mal auf einer Bühne bemerkt bzw. reflektiert habe, was das jetzt eigentlich sein soll. Eine Show? Ich stehe da mit Gitarre und schreie vor Leuten vor mich hin. Das kam mir unehrlich vor. Ich habe mir das einfach nicht abgenommen, bin verkrampft und habe das ganze Prinzip Konzert in Frage gestellt. Vorher hatte ich einfach mein Ding gemacht, danach habe ich immer öfter gefühlt, dass meine Songs alle scheiße sind.
DH: Und das in Deutschland...
(Daniel entscheidet gerade, die Arbeit – Barkeeper beim Erfurter Karneval - sausen zu lassen)
DJ: Bei mir gibt es nur ein Beispiel. The Season Standard – Tour durch Westdeutschland und Frankreich. Euphorisch zum Konzert nach Paris. Auto am Champs-Elysses geparkt. Eiffelturm angeguckt. Man kommt fröhlich zurück und sieht, dass dem Tourbus eine Scheibe fehlt bzw. eingeschlagen ist und Equipment geklaut wurde... Laptops, persönliche Sachen und Instrumente. Das sind Schockerlebnisse, bei denen man sich fragt für wen man das macht. Die
fantastische Band The Cancer Conspiracy hat sich genau deswegen aufgelöst, wegen irgendwelcher Wichser, die meinen, unbedingt einen ranzigen Bandbus ausrauben zu müssen.
MD: Zu guter Letzt... von jedem von euch: Drei Wünsche.
DJ: (rasch) Ein Haus, indem ca. 15 Leute wohnen, Proberäume, Studio, Konzertraum, Kräutergarten (weil ich der Öko-Zinker bin) und einen Bürokomplex nur für mich. Dazu noch eine Feuerstelle und kleine Kinder, die man aber wieder abgeben kann. Keine dogmatische Kommune mit dämlichen Antifa-Plakaten und Plenen... ein Haus mit Musik an einem Fluss.
DH: Geregeltes Einkommen.
DJ: Das sagt Kot-Köhler als allererstes? Haha.
DH: Na gut, dann wünsch ich mir einen Platz in dem Haus.
DC: Ich will ne Werkstatt in dem Haus.
DH: Und einen GEMA-Hit in den Charts.
DC: Ich will eigentlich nur richtig geil Mucke machen. Also so geil, dass ich es selber geil finde.
DJ: Da kannste lange warten.
DC: Es reicht ja schon ein Auftritt, bei dem man richtig weggebombt wird von sich selbst.
DH: Und das in Deutschland...
Discoporate an Marbach
DJ: Also, auch ich fang mit der Zahl 3 an. Nennt mir drei Künstler, ohne die es Marbach Recordz nicht gegeben hätte. Die Redezeit über Steve Albini sollte aber 3 Minuten nicht überschreiten.
MD: Melvins, Sebadoh und Syd Barret, würd ich sagen. Das sind meine drei Favorites, bei denen ich damals gesehen habe, dass Musikmachen auch was für Kloppies ist. All diese Künstler haben eine eigene Biographie mit Musik – dieses episodenhafte, sowohl mit 4-Spur-Aufnahmen als auch megafetten Alben. Das ist das geilste.
MK: Eindeutig geprägt haben mich Nirvana, auch wenn das jeder Fünfte sagt. Dann noch meine Lieblingspunkband Gray Matter. Ich hatte mit dem Skaten aufgehört und stattdessen übelst viel Gray Matter gehört... und nur gesagt „Fett, das ist übelst geil!“. Meine Einstiegsdroge Richtung „coolere Musik“ waren aber die Pixies.
DJ: Ich würde gerne auf das Drogenproblem von Marbach eingehen. Wie ist das bei euch mit der Harze?
MK: Im Zimmer von Daniel in Marbach war mein Einstieg. Ich bin aber zu spät eingestiegen in die Materie, da war Daniel schon voll am Start – eine Koryphäe auf dem Gebiet der Harzung.
MD: Ja, das ist generell ziemlich Marbach-geschädigt. Ich kiff seit ich 12 bin. Wir harzen auf jeden Fall kräftig. Es gibt auch harzfreie Personen bei uns, die sind aber in der Unterzahl.
DJ: Was ist Marbach überhaupt?
MD: Marbach ist ein Vorort von Erfurt, in dem ich aufgewachsen bin. Schön in Reihe geschaltete Reihenhäuser, nen Bürgermeister, ein Schlösschen und ein kleiner Rewe. Wir können da gerne mal hinspazieren. Meine Mutter ist Krankenschwester und deswegen waren immer ne Menge Parties in unserem Haus. Viel Musik, 12 Liter Milch und im Bett meiner Mutter wurde gevögelt - der Endsieg der Gefühle quasi. Das Wort Marbach Recordz gibt’s seitdem ich einer Freundin ein Tape gemacht habe mit dieser Aufschrift. Das war dann einfach so. Zu dieser Zeit haben wir tagsüber immer zusammen abgehangen, auf ranzigstem Equipment Musik gemacht, einen Haufen Scheiße gebaut und am Wochenende Parties im besetzten Haus gefeiert. Das kann man eigentlich gar nicht nacherzählen.
DJ: Da ich auch bei dir etwas Nostalgie in deinen Worten höre, geht es euch auch so, dass man jetzt der Energie dieser unbeschwerten und kraftvoll-inspirierten Zeit hinterherläuft? Quasi den irrsinnigen Gedanken verfolgt, diese Zeit zu bündeln, zu konservieren und immer wieder nach außen zu tragen?
MD: Auf jeden Fall. Man hängt halt hinterher und versucht so ein Ideal immer wieder festzumachen. Ich glaube, das geht einfach nicht, weil man schlussendlich abstumpft. Man hat viel erfahren und will es einfach nur mitteilen, für einen selbst ist es aber nie wieder so. Heute sind wir wohl etwas abgeklärter.
MK: Ja, das war eine übelst geile Zeit. Erster Proberaum in einer Lagerhalle und total sinnlose Akkorde runtergschrubbt. Es gab ein Zusammen-Gefühl und Halt, dem ich heute noch etwas nachhänge.
DC: Es kommen aber auch Momente, in denen man einen viel größeren Wert in anderen Dingen sieht. Die Art des Gefühls ist halt anders.
DJ: Und wahrscheinlich sehen wir in 5 Jahren zurück und sagen uns, wie geil das vor 5 Jahren war, als Zinker noch keinen Vollbart hatte und noch kein Öko war. Aber im Ernst, da wir alle das gerade etwas ernster angehen mit den Labels, ist es ja klar, dass man gleichzeitig etwas Kindliches zerstört. Vielleicht ist unser Vorhaben, diesem Chaos und dieser rohen Energie durch Labels ein Trademark zu verpassen, der Anfang vom Ende.
DC: Ach so ein Quatsch. Das hat doch was mit Freundschaft zu tun. Und das ist gut.
DH: Und das in Deutschland...
DJ: Nächste Frage. Wir kriegen ja gerade mit, dass irgendetwas passiert hier in Deutschland. Es gibt viele Noiserock-Bands, viele junge Menschen, die sich mit verschrobenem Jazz oder der sogenannten Avantgarde auseinandersetzen. Marbach, Discorporate, Exile On Mainstream, Blablabla. Man hört auch vermehrt aus dem Ausland, dass sich da eine Bewegung zusammenrauft, vorallem in Ostdeutschland. Könnt ihr für euch sagen, dass dem wirklich so ist?
MK: Ja! Vor allem in Bezug auf Ostdeutschland habe ich das Gefühl, dass was geht. Z. B. ist es sehr schön, dass Don Vito aus Leipzig in England eine übelst kranke Tour mit Action Beat machen und sowieso das ganze Jahr auf Tour sind. Musikalisch neu ist das alles jetzt nicht – es kann ja niemand bestreiten, dass fast alles, was unsere Musik ausmacht, irgendwie schon da war. Aber man merkt, dass sich die Leute für so was allmählich öffnen. Man sieht auch auf einmal Menschen auf einem Konzert, von denen man niemals gedacht hätte, dass die auch nur annähernd verstehen, worum es da geht. In Westdeutschland habe ich davon aber noch nicht soviel gemerkt.
DC: Ich bin da immer komplett hin- und hergerissen. Ist das jetzt geil? Also, für uns ist es das und für die 10 – 20 Bands um uns herum ist es auch geil. Wir kriegen das aber auch mit, weil wir uns viel mehr damit beschäftigen, weil wir die Bands und die Clubs kennen lernen und schnell hat man das Gefühl in einer Familie zu sein. Es ist doch total schön, dass ein Typ aus Frankreich plötzlich da ist und Weihnachten mit dir feiert. Man fühlt sich so wohl, als wäre
man mit ihm aufgewachsen. Oder dass der Chef von Exile On Mainstream dich Silvester zu seiner Familie einlädt.
DJ: Du spielst Puppentheater mit seiner Tochter und abends guckst du bei einem Whiskey X-Men. Und ein paar Wochen später schickst du mit ihm zusammen total abgefahrene Musik in den Orbit. Ob das nun 100, 500 oder 5000 Leute interessiert, spielt dann keine Rolle mehr.
DC: Ob das jemand mitkriegt, ist für das Gefühl dann eigentlich wurscht.
MK: Es ist genau, wie wenn du vor 5 Leuten spielst, die es interessiert und danach mit dir reden. Mir ist das viel lieber als vor 300 Leuten zu spielen, die dann einfach gehen als wäre nichts gewesen.
DC: Die hätten auch ins Kino gehen können.
DH: Und das in Deutschland...
MD: Ich hab auch das Gefühl, dass sich irgendwas bewegt, aber ich weiß nicht was. Trotzdem bin ich nach keinem Konzert – sei es eine Marbach-Party oder unser Teenitus Festival – richtig erfüllt. Klar, es sind die Leute da, die Konzerte sind oft furios, aber drumherum passiert auch nichts wirklich. Kein richtiges Statement. Vielleicht muss es das auch nicht geben.
DJ: Doch! Dieses Gefühl, dass alle in einem Raum spüren was gerade abgeht, dass man gemeinsam schreien will vor Glück, muss es geben. Nicht immer, um Himmels Willen – aber dieses kollektive Feedback fordere ich ein.
MD: Ja, aber es sind doch meistens die gleichen Leute, die das tun. Ich kann dir jetzt tausendmal sagen, wie geil ich Discorporate finde, aber für die anderen muss das nicht so sein. Manchmal habe ich das beängstigende Gefühl, dass unsere Generation einfach kein wirkliches Feedback geben kann.
DJ: Weißt du, woran das meiner Meinung nach liegt? Ich glaube, dass es noch nie eine solch zynische Generation gab wie unsere. Natürlich liegt das an einer übermäßigen Selbstreflexion, dem Überangebot und dass wir sehen, wie Bewegungen entstanden und wieder verschwunden sind. Deshalb versuchen wir eine gewisse Ernsthaftigkeit oder Verbissenheit durch Zynismus zu entschärfen. Manchmal ist es einfach nur feige, weil man irgendwann zu stolz oder zu ängstlich ist, geradlinig zu sagen, was man gut und nicht gut findet. Deswegen freut es umso mehr, wenn ehrliches Feedback von außen kommt.
DH: Das ist fast so schön wie eine beantwortete Booking-Email.
DJ: Kirmes, du hast mir letztens geschrieben, dass wir eine Band gründen müssen. Du sollst auch kurz vor einem Durchbruch in Vertragsgesprächen mit Adolf Hitler stehen. Ein Satz von dir ist mir noch in Erinnerung: „Überleg mal, wir haben dann Hitler in der Band!“ Kannst du noch was dazu sagen?
MK: Hitler am Schlagzeug. Ich stelle mir das Projekt ziemlich geil vor. Du noch am Gesang. Das wäre halt übelst industriell, weil Hitler am Schlagzeug das übelste New-Wave-Ding durchzieht. Hitler mit dem E-Schlagzeug und viel Hall... wie cool.
DJ: Also können wir davon ausgehen, dass Hitler wieder da ist?
MK: Ja genau. Es war ja auch nie die Rede davon, dass er tot ist.
DH: Wer seid ihr denn überhaupt? Was soll das überhaupt sein, Marbach?
MD: Ich bin der Jahmaik aus Marbach.
DH: Und das in Deutschland..
MK: Naja, wir wissen ja alle, dass Jahmaik zur Antifa gehört.
DC: Antifa. Hahaha.
MD: Naja, ich finde den Verein eigentlich ziemlich peinlich. Ganz schlimm finde ich solche Sprüche wie „Antifa ist Angriff“.
DJ: Mit Israel-Flaggen und antideutscher Gesinnung?
MD: Genau. Die wissen nicht was sie erzählen und eigentlich ist es auch nur so eine Kid-Bewegung.
DJ: Für mich sind das die besseren oder schlimmeren Nazis. Halbwissende Kleingeister. Sorry.
MD: Klar, aber trotzdem unterstütze ich Aktionen davon, wie z.B. Besetzung. Ich finde Freiräume wichtig. Ich finde Nazis scheiße. Ganz großes Klischee-Gelaber, ich weiß.
DJ: Polarkreis 18 und Antifa ist eine Liga für mich. Politische Frage – würdest du die NPD verbieten, wenn du könntest?
MD: (überlegt) Nee. Ich glaube Verbote sind generell sinnlos.
DJ: (erleichtert) Cool. Danke. Kein Kommentar. Ich hab dich lieb.
DH: Und
das in Deutschland...
Das
Gespräch driftet ab in Anekdoten darüber wie geil
Deutschland wirklich ist, wie scheiße Tocotronic eigentlich
sind, Saxophon-Soli, Eimer-Rauchen, Flunkyball, Wrestling und
Literatur... Danach wird schnell geharzt, ne Fotosession im Bad und
dann ab in den Proberaum zur Discorporate-Marbach-Session.
Zu guter letzt noch 10 Musik-Empfehlungen für die Rokko-Leser:
Captain Beefheart – Lick My Decals Off Baby
Pissed Jeans – Hope For Men
Dirty Projectors – New Attitude EP (Jahmaik findet die irgendwie anstrengend)
Fun – Zu-Pa!
The Stickmen – Insatiable
Extra Life – Secular Works
Zu – Carboniferous
Busdriver – Temporary Forever
Lite – Phantasia (Zinker findet die live ziemlich lasch)
Hella – Hold Your Horse Is