JM Stim aka Klaus Stimeder Interview (Wien-New York, Fabruary 11th 2012)

Text&Interview: Rokko

„Entspanntes Verhältnis zu körperlicher Gewalt“

Anlässlich seiner Europa-Lesetour spricht Autor JM Stim aka Klaus Stimeder über „Hier ist Berlin“, Morddrohungen, Amerika und seine Vergangenheit als Typ und Verleger in Österreich.

Ein kurzer Rückblick: Als ich im Sommer 2008 nach längerer Zeit im Exil zurück nach Wien kam, blieb mir der erste Gang ins Büro/meine Schlafkoje nicht lange erspart: unbeantwortete E-Mails, stapelweise zu bearbeitende Zettelwirtschaften und ein ungeduldig blinkender Anrufbeantworter. Den sollte ich entlasten. Neben mittlerweile abgelaufenen Meldungen war eine Nachricht zu hören, die Folgen zeitigen sollte: „Guten Tag, hier spricht Klaus Stimeder, Herausgeber des Monatsmagazins ,Datum’. Ich bin heute auf ,Rokko’s Adventures’ gestoßen und möchte gerne wissen, welches Heft einen heiligen Irren wie Joe Coleman aufs Cover setzt. Und welcher verdammte Herausgeber sein Bankkonto in Waldzell anlegt!“ – gefolgt von lautem Lachen. Nach einem Rückruf verabredeten wir uns zu einem Treffen im Rüdigerhof noch am selben Abend – und dannwurde nicht lange herumgefackelt: zahlreiche biographische Überschneidungen, dass wir beide Schatzis von Hermes Phettberg waren (und sind) und eine zügige Arbeitsmoral führten zu einer herzlichen Freundschaft und zahlreichen Zusammenarbeiten. Bald sollte ich auch anfangen, fürs „Datum“ zu schreiben, das damals noch unter dem Kommando Stimeders stand.

Zeitsprung, Frühjahr 2011, ich im Flugzeug nach Amerika. In New York angekommen, rief ich Stimeder an und wir trafen uns zum Mittagessen. Im Zuge dessen tauschten wir sämtliche aktuellen Projekte und Vorhaben aus und kamen auch auf „Hier ist Berlin“ zu sprechen, das damals noch in einer rohen Form existierte, aber gedanklich bereits zu Ende gebracht war. Über verschiedene Optionen wurde laut nachgedacht, aber noch keine Nägel mit Köpfen gemacht.
Nach mehreren Monaten zurück in Wien läutete das Telefon und es war einer jener überraschenden Anrufe, die aus Spaß Ernst machen – und wieder zurück. Es war, erraten!, der Stimeder, und nachdem wir unsere gegenseitige Arbeitsmoral kannten und schätzten, konnten wir innerhalb dieses einen Telefonats bereits die Grundstatuten für die nächste Zusammenarbeit festlegen: Ich sollte als Verleger von „Hier ist Berlin“ in Erscheinung treten und regeln, was diesbezüglich zu regeln wäre. Eine gemeinsame Lesetour durch die Metropolen der USA und Europas sollte folgen – die Pläne Stimeders waren, wie üblich, wenig zurückhaltend: eine wunderbare Gelegenheit, unsere Kräfte zusammenzulegen!
Ich brauchte keine Bedenkzeit, bat aber doch um das Manuskript, damit ich auch genau wüsste, worauf ich mich da einließe. Mein Rückruf folgte noch am selben Abend, nachdem ich „Hier ist Berlin“ in einem Zug durchgelesen hatte: feine Beobachtungen, scharfe Analysen, persönliche Erfahrungen, die fassbar und nachvollziehbar formuliert werden. Authentische Züge werden zu relevanten Gesellschaftsentwicklungen weitergesponnen. Ein selbstverliebtes Autoren-Ich, über das sich zahlreiche andere zeitgenössische Schreiber definieren, sucht man bei „Hier ist Berlin” vergeblich – zum Glück. Der Pakt wurde besiegelt, das Buch produziert, bisher in drei Sprachen (alle Infos dazu siehe www.hieristberlin.com) und jetzt, aus Anlass der bevorstehenden Europa-Tour, ein Telefoninterview durchgeführt:

Die erste Frage, die mir praktisch alle Leute stellen, wenn sie mich nach dir fragen: Warum bitte nennt sich der Klausi Stimeder jetzt JM Stim?

Als ich wusste, dass ich nach Amerika ziehen werde, hab ich mich intensiv mit dem Buchgeschäft in diesem Land auseinandergesetzt. Bei allen Gesprächen mit hiesigen Verlagsmenschen hat sich schnell etwas herausgestellt, das sich so zusammenfassen lässt: Wenn du dir in den USA einen Namen als Autor machen willst, hast du zwei Möglichkeiten. Du kannst deinen richtigen Namen behalten und darunter deine Bücher veröffentlichen – dann wirst du halt immer der ausländische Autor sein, der halt gerade in New York lebt. Oder du kannst dir einen Namen zulegen, bei dem sich kein Amerikaner auch nur fragt, wer du bist und woher du kommst. Die Realitäten am US-Buchmarkt sind nunmal die: von allen in den Staaten im Handel erhältlichen Büchern stammen ganze drei Prozent aus Übersetzungen und wenn schon am Namen erkennbar ist, dass du höchstwahrscheinlich Ausländer bist, kann das verkaufstechnisch zum Problem werden. Also hab ich mir einfach „Don’t hate the player, hate the game“-mäßig einen Namen gesucht, der diesen Anforderungen genügt. Über ein paar G’spritze mit meinem ewigen Mentor Michael Frank (mittlerweile pensionierter, langjähriger Mitteleuropa-Korrespondent der „Süddeutschen Zeitung“, Anm. d. Verf.) in Neukölln war der schnell gefunden. Josef ist mein zweiter Vorname, Martin der Mädchenname meiner Mutter und Stim einfach nur Stimeder abgekürzt: JM Stim, aus, fertig.

Und unter dem Namen wurde dann „Hier ist Berlin“ veröffentlicht. Wie hat die Recherche für den Text ausgeschaut?

Als ich dort gelebt hab, bin ich, wenn es wettermäßig halbwegs erträglich war, tagsüber an die Endstationen der jeweiligen U- oder S-Bahn-Linien gefahren, ausgestiegen und von dort zu Fuß nach Hause gegangen. Das hat oft einen ganzen Tag gedauert, aber für mich war es die einzig denkbare Möglichkeit, sich der Stadt so intensiv wie möglich auszusetzen. Am Abend hab ich mich dann an den Tresen meines Stammbeisls in Neukölln gesetzt und bei zwei, drei, fuffzehn Bier aufgeschrieben, was mir tagüber so alles untergekommen ist. Das hab ich mit Unterbrechungen rund zwei Jahre lang so durchgezogen. Parallel hab ich gut drei Dutzend Bücher – Sachbücher, Literatur, alles mögliche – über Berlin gelesen, um ein tieferes Verständnis für das zu bekommen, was ich sehe, höre und rieche. Das wichtigste waren aber rückblickend gesehen die unzähligen Gespräche mit Leuten, von denen viele im Laufe der Zeit zu echten Freunden geworden sind. Ist ja kein Zufall, dass das Buch ihnen gewidmet ist.

Was waren für dich die erstaunlichsten Erkenntnisse in Sachen Berlin?

Die komprimierte Antwort auf diese Frage ist das, was in „Hier ist Berlin“ steht.

Das Buch ist seit kurzem auch in den USA erhältlich, auch dort wirst du zu Lesungen und Präsentation eingeladen. Wie groß ist das Interesse in Amerika an einem Berlin-Buch?

Bis jetzt können wir nur von dem ausgehen, was wir bei der Präsentation in Manhattan am 2. März erlebt haben und das hat selbst die kühnsten Erwartungen übertroffen. Natürlich hatten wir auf guten Besuch gehofft, aber dass die Veranstalter von der New York University wegen Überfüllung rund zwei Dutzend Leute an der Tür abweisen mussten, war dann doch ziemlich heftig. Es waren knapp über 120 Leute da, und von denen hat ein Drittel nachher das Buch auch gekauft. Aber New York City ist nicht gleich USA. Im April und im Mai haben wir Präsentationstermine in ganz Nordamerika, fünf in den USA und zwei in Kanada. Dann werden wir diesbezüglich mehr wissen.

Wie geht es nach der Tour durch Deutschland und Österreich weiter?

Nach unserer Rückkehr machen wir uns wie gesagt auf eine kleine Nordamerikatour, bisher stehen Chicago, Minneapolis, L.A. und Washington D.C. auf der Liste, in Kanada Toronto und Ottawa. Wir hoffen, dass noch die eine oder andere Station dazu kommt.

Klingt anstrengend.

Wird es hoffentlich auch.

Du bist in deinem Leben jobbedingt und privat schon immer viel herumgekommen. Heute lebst du schon wieder fast zwei Jahre in Manhattan. Bist du angekommen? Oder ist New York nur ein weitere Station?

Ich liebe New York… nein, stimmt nicht… ich liebe die Idee von Amerika, für die New York immer noch und trotz allem steht. Dementsprechend kann mir derzeit nicht vorstellen, nach Europa zurückzukehren. Aber ich mache mir auch keine Illusionen. Das Leben hier ist extrem teuer und dementsprechend hart. Die Stadt ist wunderbar, wenn man reich und gesund ist, aber die meisten anderen Menschen, die hier leben, führen so wie ich und meine kleine Familie einen buchstäblichen Kampf ums Überleben. Ich will trotzdem solange hier leben, wie es möglich ist. Ich führe, bei allem jobbedingten Stress – ich arbeite ja hauptsächlich als Korrespondent der „Wiener Zeitung“, schreibe aber auch für alle möglichen anderen Zeitungen und Magazine in Österreich und Deutschland – ein ganz und gar erfülltes Leben.

Kleine Familie? Hast du plötzlich Kinder bekommen?

S’Leben ist oft komisch.

Wie kommst du überhaupt zur „Wiener Zeitung“?

Obwohl mir andere Medien teilweise viel mehr Geld geboten haben, wenn ich für sie den US-Korrespondenten spiele, war mir nach einer Reihe von damals im Vorfeld meiner Übersiedlung absolvierten Gesprächen mit diversen Chefredakteuren und Verlegern schnell klar, mit wem die Chemie stimmt und mit wem nicht. Und nachdem ich nicht eben für Kompromisse bekannt bin, hab ich mich nach nicht wirklich langer Überlegung für die „Wiener Zeitung“ entschieden. Mir ist bewusst, dass meine Arbeit dafür von außen besehen einen typisch österreichischen Widerspruch darstellt: Der Typ, der als Verleger für sein Produkt nicht mal um die seinem Magazin gesetzlich zustehende Publizistikförderung angesucht hat, arbeitet für die so genannte „Staatszeitung“. Aber, wie immer in Österreich, liegen die Dinge halt kompliziert. Zeitungen werden von Menschen gemacht, und die Leute, mit denen ich bei der Wiener Zeitung“ zusammenarbeite, sind erstens alles professionelle und gute Journalisten, und zweitens, und deshalb habe ich auch bewusst Geld liegen gelassen, lassen sie mich die Geschichten schreiben, die meiner Meinung nach wichtig und interessant sind. Auch wenn ich den Walter Hämmerle (stv. WZ-Chefredakteur, Anm. d Verf.) manchmal erschlagen könnte, wenn er mich um vier Uhr morgens aus dem Schlaf reißt, um mir mitzuteilen, dass sich, wenn ich jetzt gleich aufstehe, die und die Geschichte noch ausgehen könnte für die Ausgabe am Tag danach. Kommt selten, aber durchaus vor.

Du schreibst viel über Kunst und Literatur, selten über Politik.

Ich schreibe vor allem im Feuilleton, weil mich die Dinge, die darin verhandelt werden, einfach am meisten interessieren. Was die Politikberichterstattung angeht – let’s face it: 90 Prozent der europäischen Print-Korrespondenten in den USA lesen die „New York Times“ und die „Washington Post“, schauen ein bisschen MSNBC oder CNN America und dann setzen sie sich hin und schreiben ihre Geschichten. Sie wissen das, ihre Zeitungen wissen das, und jeder, der ein bisschen Einblick ins Geschäft hat, weiß das. Und in der Regel kann man ihnen deshalb nicht mal einen Vorwurf machen, weil sie einfach nicht die entsprechenden Zugänge haben. Fast allen amerikanischen Politikern ist es scheißegal, wie Europa über sie denkt. Angesichts der feigen Außenpolitik vieler Länder kann ich sie bis zu einem gewissen Grad sogar verstehen.

Du hattest, wie ich selber aus unseren Diskussionen von damals noch weiß, schon immer ein ambivalentes Verhältnis zu Österreich. Nicht zuletzt hast du ja deshalb 2004 „Datum“ gegründet, weil du, Zitat von damals, „einfach die Schnauze voll“ hattest. Ich kann mich auch noch gut an einen späteren Fernsehauftritt kurz vorm Nationalfeiertag erinnern, als dich die per Telefon zugeschalteten Zuschauer live heftig beschimpft haben…

Ja, ich kann mich auch erinnern. Weil ich, glaub ich, gesagt habe, dass ich vielleicht stolz auf mich selber und auf andere Leute bin, aber sicher nicht auf mein Land als solches. Ich hab danach per E-Mail sogar eine Handvoll Morddrohungen bekommen von irgendwelchen Vollwahnsinnigen. Ein befreundeter Polizist hat mich damals angerufen und wollte mich ermuntern, Personenschutz zu beantragen, auf Staatskosten. Ich hab ihm gesagt, dass ich das sehr nett finde, aber dass ich mich ganz gut alleine verteidigen kann. Nachdem ich im Innviertel der Achtziger und frühen Neunziger aufgewachsen bin, habe ich zu körperlicher Gewalt ein relativ entspanntes Verhältnis. Aber es ist natürlich nie etwas passiert, weil diese Leute alle Feiglinge sind. Deshalb rufen sie ja bei Talkshows an, oder sie posten anonym in Online-Foren. Ich habe in den sieben Jahren als „Datum“-Verleger kein einziges Mal erlebt, dass mir jemand ins Gesicht gesagt hätte: „Was du machst, ist Scheiße.“ Aber wenn ich zurückdenke, was sich im Web nach jedem einzelnen meiner Auftritte, Interviews oder sonstigen Wortmeldungen teilweise abgespielt hat, hab ich mich schon manchmal gefragt, was für ein Land das eigentlich ist.

Was für ein Land ist es denn?

Mir ist erst in den vergangenen dreieinhalb Jahren, also, seitdem ich fix im Ausland lebe, wirklich klar geworden, wie sehr einen Österreich… stimmt nicht, von was wir reden, ist eigentlich Wien, nicht Österreich, weil es nunmal die einzige Großstadt in Österreich ist, also Wien – wirklich beschädigt. Bewusst und unbewusst. Vielleicht kann man es so sagen: Wenn für New York wirklich „If you make it there, you’ll make it anywhere“ gilt, und bis zu einem gewissen Grad stimmt das halt immer noch, dann gilt für Wien: „If you survive there, you’ll survive everywhere“. Ich hab in den vergangenen Jahren nur ein Stück kennen gelernt, das das Wesen dieser Stadt so beschreibt, wie ich es empfinde. Und es erzählt vielleicht auch eine Geschichte, dass das jemand geschrieben hat, der auch aus Österreich kommt, den ich aber erst in Berlin kennen gelernt hab und vor dessen Werk ich mich, ganz nebenbei, zutiefst verneige. Das Lied heißt „Wien, du bist ein Taschenmesser“. Geschrieben hat es Andreas Spechtl, der Sänger von Ja, Panik.

Kenn ich, aber ist nicht so meins. Mir taugt mehr vom Qualtinger „Wean, du bist a Taschenfeitl“. Aber geht’s ein bisserl konkreter?

Well…okay, vielleicht so: In Mitteleuropa im Allgemeinen und in Wien im Besonderen gibt es diese – offenbar mentalitätsbedingte – Unsitte, sich prinzipiell erstmal über alles lustig zu machen beziehungsweise alles schlecht zu reden, weil man damit immer auf der sicheren Seite ist. Über die Konsequenzen, die eine solche Alltagskultur zeitigt, sind sich die wenigstens bewusst. Ich hab über dieses Phänomen neulich mit dem Guillermo del Toro geratscht (Autor von „Pan’s Labyrinth“, Regisseur von „Hellboy“, Anm. d. Verf.), der, ganz nebenbei, die wahrscheinlich größte Horror- und Phantasy-Bibliothek der Welt besitzt. Der kennt diese Haltung als gebürtiger Mexikaner offenbar auch ganz gut, und er hat dafür einen interessanten Ausdruck erfunden: „stupid skepticism“, ein dummer Skeptizismus, der im Grunde nur der Angst entspringt, dass andere Leute die Eier haben, andere Wege zu gehen, als die, die ihnen von ihrem unmittelbaren Umfeld zugestanden werden. Das find ich eine ganz treffende Beschreibung.

Mhm, verstehe.

Den unzähligen großartigen Erfahrungen, die ich in meinen diversen Jobs und dann sieben Jahre lang als Verleger in Östereich gemacht habe, stehen halt ebenso viele gegenüber, die ich lieber vergessen möchte. Das ist glaub ich ganz menschlich und wenn du mich danach fragst, kriegst du halt diese Antwort. Das Ausmaß an Niedertracht, Kleinkariertheit und Neid, das mir teilweise untergekommen ist, stehen angesichts der Größe des Landes in keinerlei Verhältnis, aber das ist jetzt auch nicht wirklich eine Neuigkeit. Die Verhältnisse in Österreich sind so, wie sie sind, aber offenbar ist der Leidensdruck noch immer nicht groß genug für eine wirkliche geistige und politische Revolution. Aber das alles ist ja auch nur ein Teil der Wahrheit. Was genauso stimmt, ist, dass dieses Land auch voll ist von vielen guten, extrem talentierten und klugen Menschen. Im Ernst: Wenn ich an Gott glauben würde, müsste ich ihm bis heute täglich dafür danken, welche einfach nur tolle Leute ich in Österreich kennen lernen durfte. Vom Kindergarten in Oberösterreich bis zu Wien. Ich habe das neue Buch ja nicht umsonst meinen Freunden gewidmet. 80 Prozent von denen leben in Österreich, und ohne sie würde ich wahrscheinlich nicht mehr am Leben sein. Buchstäblich. Und wenn ich heute über facebook mitkrieg, was Leute wie du oder der Ilias Dahimene von Seayou Entertainment aufstellen, oder die Leute von „paroli“ oder „wina“, dann bin ich nicht frustriert, sondern hoffnungsvoll, dass diese vielen kleinen, individuellen Revolten vielleicht einmal zu mehr führen.

Für die Leute, die dich als Verleger kannten, war ein „Datum“ ohne dich unvorstellbar. Warum hast du dich damals scheinbar von heute auf morgen verabschiedet? Es gab ja auch diese Geschichte, dass du zum gleichen Zeitpunkt, als du aus der „Datum“-Redaktion wie aus der Öffentlichkeit verschwunden bist, als Moderator einer Talkshow vorgesehen warst…

[lautes Lachen am anderen Ende der Leitung] Okay…das Gschichtl mit der Talkshow stimmt im Grunde, aber nicht ganz. Zwei echt coole Frauen von einem der Privatsender haben mich damals eingeladen, nachdem sie mit mir Erfahrungen im Rahmen von diversen Fernsehauftritten gesammelt hatten. Das Problem ist einzig und allein in mir bestanden. Ich hatte vor rund dreieinhalb Jahren – sinnigerweise genau an dem Tag, an dem die ersten Probeaufnahmen hätten stattfinden sollen – etwas, was einem totalen Zusammenbruch wahrscheinlich recht nahe kommt, psychisch wie physisch. Ausgelöst durch private Gründe, aber im Grunde war es, wie sich im Nachhinein herausgestellt hat, viel mehr. Ich hatte schon in den Monaten davor ungefähr 20 Stoppschilder überfahren, ohne es zu merken und bin am Ende mit 180 gegen die Wand gekracht. Danach habe ich ein halbes Jahr gebraucht, um wieder auf die Beine zu kommen. Ich muss den Leuten vom „Datum“ bis heute dafür danken, dass sie damals zu mir gestanden sind. Die Situation war für alle Beteiligten nicht einfach, aber sie hatte auch etwas gutes: In dieser Zeit ist klar geworden, dass das Blattl, wenn’s drauf ankommt, auch ohne mich auskommt. Nachdem ich ja jede und jeden einzelnen von der Mannschaft selber ausgesucht hatte, war mir wahrscheinlich mehr klar als denen, dass sie den Laden auch alleine schupfen können, wenn’s drauf ankommt. Ich hab damals einen Monat am Sinai verbracht, an einem Ort, an dem es praktisch nur Sand, Wind und Wasser gab, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Anschließend war ich fast drei Monate in Norwegen, bei der Familie meines Patensohns. An diesen Orten hatte ich endlich die Zeit und die Ruhe, heraus zu finden, was ich noch will, vom Leben und von der Arbeit. Am Ende bin ich nach London geflogen, wo der Hannes (Hannes Weyringer, damaliger Partner Stimeders bei „Datum“, heute alleiniger Herausgeber, Anm. d. Verf) damals gelebt hat und hab ihm mitgeteilt, dass eine Rückkehr nach Wien nicht mehr in Frage kommt. Was ihm nicht wirklich gepasst hat, aber ich glaube, am Ende hat er eingesehen, dass ich nicht mehr in der Verfassung war, in der bisherigen Form weiter zu machen.

Okay. Was ist dann passiert?

Ich wusste, dass ich wieder selber schreiben will und nicht mehr den Verleger und Chefredakteur spielen mit allem, was dazu gehört. Nachdem wir uns geeinigt hatten, dass ich nach Berlin gehe und mich auf die Herausgeberrolle beschränke, haben wir es den Mitarbeitern mitgeteilt und das war zum Glück okay für die meisten. Dann bin ich nach New York geflogen, um dort das Bronner-Buch zu präsentieren (die gemeinsam mit Eva Weissenberger verfasste Biografie „Trotzdem – Die Oscar Bronner Story“, Ueberreuter 2008). Das war rückblickend gesehen in Sachen „Datum“ der Anfang vom Ende, auch wenn ich es damals nicht so gesehen habe. Die Anerkennung und die Würdigung meiner Arbeit, die ich damals erfahren habe – von Leuten von einem Kaliber, von dem unsereins nur träumen kann – haben mir die Kraft und das Selbstbewusstsein gegeben, langsam aber sicher dorthin zurück zu kehren, wo ich eigentlich immer hinwollte: zum Schreiben. Als ich mich dann rund zwei Jahre später endgültig verabschiedet habe, nach einem fairen Deal mit Hannes – nachdem ich bis heute regelmäßig über drei Ecken erfahre, dass wir uns angeblich im Streit getrennt haben, glauben mir’s die Leute ja jetzt vielleicht endlich wirklich – war klar, dass ich es in Amerika probieren möchte. Aus heutiger Sicht war es die beste Entscheidung, für die Entwicklung von „Datum“ wie für mich als Mensch. Deshalb: No regrets whatsoever.